Anne-Kristin Mai - Saengerin, Chorleiterin und Autorin

DER KINDERCHOR DER OPER LEIPZIG

"KUNSTPRAXIS ist eine intensive Form der Schule des Lebens"
(Udo Zimmermann)

Schöpfer von Bühnenwerken haben ein Geheimnis erkannt, wenn sie Kinder in hochdramatische oder heitere Libretti einbringen. Die jungen Stimmen werden zu Glanzlichtern im Fest einer Opernaufführung. Hineingenommen in den farbigen Reigen der Künste entwickeln sie die lebenslange Liebe zur Musik, üben zwischenmenschliche Disziplin und begeistern sich für künstlerisches Gestalten. Sie orientieren sich an großen Vorbildern, die sie als Sänger, Tänzer, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner, Techniker, Maskenbildner, Kostümbildner und viele unsichtbare Geister beim Reifen einer Inszenierung beobachten können. Sie entwickeln Willensstärke, Empfindsamkeit, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit, Ausdauer und Konzentration. Die Sängerstimme wächst und die Persönlichkeit reift.

Seit dem 1. Oktober 1990 verfügt die OPER LEIPZIG erstmals in ihrer Geschichte über einen hauseigenen Kinderchor. Prof. Udo Zimmermann beruft die SINGSCHULE des Musikunterrichtskabinetts der Stadt Leipzig, die seit 1981 als ständiger Gastchor in Oper und Musikalischer Komödie wirkt, zum KINDERCHOR DER OPER LEIPZIG.

1977 hatte die Kirchenmusikerin und Sängerin Anne-Kristin Paul-Mai am damaligen "Kabinett für Instrumentalerziehung der Stadt Leipzig" dieses Ensemble gegründet. Im Mittelpunkt der Ausbildung standen Aufführungen von Singspielen und Auftragswerken zeitgenössischer Komponisten (Kurt Schwaen, Herbert Schramowski, Dietrich Barth, Horst-Dieter Knorrn und Hans Börner).

Ein Blick in die Geschichte Leipziger Opernkinder seit der Eröffnung des neuen Hauses 1960 verweist auf ihr erstmaliges Auftreten in der "Carmen"-Inszenierung von 1962. Es sind Mitglieder des damaligen Rundfunkkinderchores. Ein Jahr später versammelt der schöpferische Musiklehrer Reinhardt Syhre an der Ernst-Schneller-Oberschule in Leipzig eine Sängerschar, die bald gemeinsam mit dem zweiten Chordirektor der Oper, Werner Dienemann, und unter der Gesamtleitung des ersten Chordirektors Andreas Pieske, ständiger Gast auf der Opernbühne wird. 1973 erfolgt die Berufung dieses Schulchores zum Gewandhauskinderchor. Er ist in den Inszenierungen "Hänsel und Gretel", "La Boheme", "Boris Godunow", "Der Wildschütz", "Die Frau ohne Schatten", "Tosca", "Albert Hering" und bei der "Verurteilung des Lukullus" beteiligt.

Mit der Eröffnung des Neuen Gewandhauses 1981 nimmt Gewandhauskapellmeister Kurt Masur eine Umstrukturierung der dortigen Chöre vor. Er tauscht den Gewandhauskinderchor mit dem Kinderchor der Stadt Leipzig aus. Ekkehard Schreiber, ein Musikpädagoge mit besonderer Anziehungskraft, hatte letzteren 1978 gegründet, um vorrangig zeitgenössische Musik zu pflegen. Beide Chöre arbeiten nun ohne Unterbrechung, am vertauschten Ort, mit neuem Namen und anderem Profil weiter. Auftritte in der Oper sind nicht mehr vorgesehen.

Nun erweist sich die "Singschule des Kabinetts für Instrumentalerziehung" als besonders für die Bühne geeignet, da Stimmbildung, akzentfreies Sprechen von Dialogen und die szenische Darstellung Grundpfeiler in ihrer Ausbildung sind. Günter Lohse bittet die Singschüler 1981 zur Mitwirkung in "Tannhäuser". Bald singen sie in "Parsifal", "Hänsel und Gretel", "Der Nußknacker", "Carmen", "Jakob Lenz", "Tosca" und "La Boheme".

Inmitten höchst anspruchsvoller Proben der solistisch besetzten Elfen in Brittens "Sommernachtstraum" (1990), in der Regie von Uwe Wand, ist die Doppelbelastung der Kinder in der städtischen Singschule und auf der Opernbühne nicht mehr zu verantworten. Eine Entscheidung über die endgültige Zugehörigkeit des Chores muss getroffen werden. Sie fällt zugunsten des Musiktheaters aus, dessen Faszination die kleinen Sänger längst in ihren Bann gezogen hatte. Die Direktorin des Musikunterrichtskabinetts der Stadt Leipzig, Gisela Wahala, schenkt dem Ruf der Opernleitung Gehör und erfüllt damit großzügig den Wunsch der Kinder und ihrer künstlerischen Leiterin.

Somit wagt der Intendant Prof. Udo Zimmermann erstmalig in Leipzig, eine stets in Bewegung, Entwicklung und Fluktuation befindliche Gruppe von Schülern fest an das Theater zu binden. Der Spielplan muss zumeist ohne Rücksicht auf die Schulferien gestaltet werden, was für die Kinder und ihre Familien immerwährenden Einsatz und Opferbereitschaft voraussetzt. Alle organisatorischen und künstlerischen Aufgaben obliegen allein der Chorleiterin. Es gibt kein eigenes Büro und keinen Aufenthaltsraum für die zahlreichen Sänger. Die Kunst, ohne Aufsehen und Lärm in unbesetzte Probenräume zu gelangen, ohne die minutiösen Abläufe des Theaterbetriebes zu stören, wird zur täglichen Übung. Fremdsprachige Texte und solistische Gesangspartien müssen in allabendlichen Telefoneinzelproben mit der Chorleiterin vertieft werden. Die Eltern bekommen auf diese Weise beste Einblicke in die Ausbildung Ihrer Kinder. Der prall gefüllte Spielplan der Oper Leipzig hält immer anspruchsvollere Aufgaben in selten dargebotenen Werken für die jungen Sänger bereit. So vertraut der Starregisseur Prof. Joachim Herz in György Ligetis "Le Gran Macabre" die sensibel zu behandelnden Autohupen und Türklingeln der Orchesterpartitur den in Matrosenanzügen auswendig musizierenden Chorkindern an. Weit voneinander entfernt stehen sie rechts und links der Hauptbühne, sichtbar übereinander in Stockwerken drapiert, und verblüffen mit ihrem Charme und exaktem Zusammenspiel Orchester und Publikum.

Es folgen Massenets "Werther" (französisch), die Besetzung eines Kindersolisten in Herchets "Nachtwache", Istvan Szabos "Boris Godunow" (russisch), "Der Rosenkavalier" und Menottis "Hilfe, Hilfe, die Globolinks", eine besonders für jugendliche Opernbesucher von Günther Lohse liebevoll gestaltete und umjubelte Inszenierung.

In der Musikalischen Komödie trifft man Kindersolisten in der "Frühjahrsparade", dem "Fiedler auf dem Dach", dem "Zigeunerbaron" und der "Blume von Hawai". Als Harlekine bereichern sie "Eine Nacht in Venedig".

Die größte Herausforderung bringt die Mitwirkung in Karlheinz Stockhausens Welturaufführung von "Freitag aus Licht" (1996, Auftragswerk der OPER LEIPZIG). Eine erschreckend schwierige Partitur für die Kindersolisten erreicht die Grenze stimmlicher Möglichkeiten. Doch unter Stockhausens fantastischer Einführung und faszinierender Probenarbeit sowie der subtilen szenischen Realisierung Uwe Wands gelingt den enorm fleißigen und wissbegierigen Kindern der Höhenflug in die unverwechselbare elektronisch-technisch-musikalisch überirdische Welt eines Ausnahmekomponisten und sie lieben ihn.

Die meisten Bühnenwerke beanspruchen höchstens 40 Kinder. Um aber jedem Chormitglied das fortwährende Studium einer Rolle mit anschließender öffentlicher Darbietung in Aussicht zu stellen, begründet Anne-Kristin Mai im März 1991 die Reihe

"ZU GAST BEIM KINDERCHOR DER OPER LEIPZIG".

In jeder Spielzeit steht eine eigene Produktion des Ensembles im Plan. Mit unerschütterlichem Engagement der kleinen Sänger und Sprecher, Ihrer Leiterin, sowie dem zusätzlichen Einsatz hauseigener Regisseure und Spielleiter, der Orchestermusiker, der Werkstätten, der Bühnentechniker, der Kostümbildner, der Schneiderei, der Requisite, der Maskenbildner und der Ankleider der Oper Leipzig wird sie den dauerhaft zahlreichen Zuschauern vorgestellt. Studierende der Fachrichtungen Tanz oder Design, Mitglieder der Ballettschule der Oper Leipzig, sowie Instrumentalisten und Tänzer der Musikschule "Johann Sebastian Bach" Leipzig wirken als Gäste mit. Dass ausschließlich Kinder für Kinder derartige Inszenierungen hervorbringen und anschließend nach jeder Vorstellung das Publikum mit Erfolg zum Singen und Tanzen einladen, ist einmalig an einem deutschen Opernhaus.
 

SPIELPLAN DER REIHE " ZU GAST BEIM KINDERCHOR DER OPER LEIPZIG"
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12.Dezember 1991
Konzertfoyer
"BRÜDERCHEN KOMM TANZ MIT MIR"
Musik aus "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck
     

Libretto, ME und ML Anne-Kristin Mai
Hans-Georg Kluge Klavier, Solisten des Kinderchores
Tänze mit dem Publikum
Einführung Marita Müller
 
21. Dezember 1991
Konzertfoyer
WEIHNACHTSSPIEL DES KINDERCHORES DER OPER LEIPZIG
 
     Libretto, ME und ML Anne-Kristin Mai
nach Texten der Bibel und von Rudolf Alexander Schröder
Instrumentalisten der Kreismusikschule "Ottmar Gerster"
und des Kinderchores der Oper Leipzig
Gerald Matschke Spinett
B Dieter Mildenberger, Karl Heinz Schmidt
Kostümauswahl Gabriele Zechendorf
 
1. Mai 1992
Konzertfoyer
 
"WILLKOMMEN, LIEBER SCHÖNER MAI"
Gemeinschaftskonzert mit dem Kinderchor Dorfen/Bayern (Lydia Ulrich Riedel)
und Maibaumfest vor der Oper
   
Konzeption und Gesamtleitung Anne-Kristin Mai
Anton Tremmel Klavier
 
6. Oktober 1992
Konzertfoyer
"LIEBES WOLFERL"
Singspiel anlässlich des 250. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart
     
Libretto nach Briefen der Familie Mozart, ME, ML und
Cembalo Anne-Kristin Mai
Musik von Mozart
Szenische Einrichtung und Tänze Klaus Tews
B Jochen Schube
K Eva Mißlitz
Solisten: Christian Schmidt, Astrid Kallenbach, Christian Steffen Piltz
Einführung Regina Brauer
  
26. April 1992
Kellertheater
"HANS HUCKEBEIN" Horst Dieter Knorrn / Wilhelm Busch
 
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Kristiane Köbler Klavier, Dirk Wasmund Saxophon, Reiner Schubert
Schlagzeug
R Klaus Tews
B Michael Münster, Tillmann Schneiderheinze, Horst Koczlik
Ch Gisela Witt
K Dorothea Weinert
 
19. Juni 1993
Kellertheater
"DORNRÖSCHEN" Carl Reinecke
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Juri Melnik Klavier Renate Gräupner Violine
R Klaus Tews
Kinder der Ballettschule der Oper Leipzig (Angelika Graefe)
B KINDERATELIER Plagwitz e.V. (Konstanze Neumann-Gast,
Angelika Pohler)
Michael Münster, Tillmann Schneiderheinze, Karl-Heinz Schmidt
Ch Gisela Witt
K Eva Mißlitz
 
11. Dezember 1993
Kellertheater
"DES ESELS GEHEIMNIS"
 
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Libretto (nach "Zuviel Weihnachten" von Dino Buzzati) und Szene
Anne-Kristin Mai
Europäische Weihnachtslieder
Gudrun Bratner Klavier, Matthias Müller Violine
B Michael Münster, Tillmann Schneiderheinze
K Fundus
 
3.Oktober 1994
Obere Wandelhalle
Neues Rathaus
"BRUNDIBAR" Hans Krasa
Kinderoper anlässlich der 1. Leipziger Kulturwochen
 
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Mitglieder des Orchesters der Musikalischen Komödie
Hans Georg Kluge Klavier, Matthias Erig Gitarre
R Ingomar Börs Ch Gisela Witt
B Michael Münster, Günther Huniat Holzskulpturen
Prospekt Achim Lingner, Hans Burkhard und Chorkinder
 
  
9. Mai 1995
Kellertheater
"ERZÄHL DOCH MAL"
(anlässlich des 50. Jahrestages der Beendigung des 2. Weltkrieges)
     
Libretto und Szene Anne-Kristin Mai
Hebräische Chorwerke von Hermann Berlinski, Washington
Russische Lieder Swetlana und Stanislaw Zaizew
(Gitarre, Akkordeon und Gesang)
Annerose Mai Violoncello, Mathilde Erben Klavier
Anatoli Anochin (Russischer Konsul) und Prof. Dr. Pirmin
Stekeler-Weithofer (Universität Leipzig)
 
16.Juni 1996
Kellertheater
"SCHNEEWITTCHEN" Carl Reinecke
 
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Matthias Müller Violine, Graham Welsh, Stefan Knoth Klavier
R Verena Graubner
B Frank Ruddigkeit, Katja Weber, Michael Münster
K Eva Mißlitz, Franziska Cobet
Ch Jana Ressel, Gisela Witt
 
12. Juli 1998
Kellertheater
"KÄPT´N NOAHS SCHWIMMENDER ZOO"
Joseph Horovitz/ Michael Flanders
    ME und ML Anne-Kristin Mai
Angelina Djutewa Klavier, Sergio Glaser Kontrabaß, Ben Fischer Schlagzeug
R Uwe Wand, Kathrin Wittenberg
B Michael Münster, Tillmann Schneiderheinze,
Konstanze Neumann-Gast, Hanne Reinhardt-Fischer
K Andrea Seidel
Ch Jana Ressel, Gisela Witt
Tanzschüler der Musikschule "Johann Sebastian Bach" Leipzig
29. Juni 1997
Kellertheater
"ALICE IM WUNDERLAND" Jens Ostendorf / Helmut Polixa
 
    ME und ML Anne-Kristin Mai
R Günter Lohse, Assistenz Rüdiger Hoffmann
Angelina Djutewa, Susanne Riehl Klavier
Dirk Wasmund Saxophon/ Klarinette
Johannes Schubert Schlagwerk
B Christian Neugebauer, Michael Münster, Tillmann Schneiderheinze
Ch Michail Gawrikow, Jana Ressel
K Andrea Seidel, Franka Lüdtke
 
20. Juni 1999
Probebühne 2
"ARLECCHINO UND DIE TAUBE" Venezianisches Maskenspiel
 
    Venezianische Musik aus fünf Jahrhunderten
Libretto, ME, R und ML Anne-Kristin Mai
B Dieter Mildenberger, Siegfried Pitzschel
Konstanze Neumann-Gast, Hanne Reinhardt-Fischer,
Kinderatelier Plagwitz e.V.
K und Masken Andrea Seidel
Ch Gisela Witt
Instrumentalisten der Musikschule "Johann Sebastian Bach" Leipzig
(Eva Beyer)
Matthias Müller Violine Angelina Djutewa Cembalo
Schüler der Scuola Media Statale "Francesco Morosini" Venezia
 
15. Februar 2000
Teatro San Margherita Venezia
"ARLECCHINO E IL PICCIONE"
Rappresentatione teatrale veneziana in maschera
   
Gesamtleitung Anne-Kristin Mai
Premiere in italienischer Sprache (Übersetzung Elena Ascheri-Dechering)
Kinderchor der Oper Leipzig
Schüler des "Laboratorio Teatro-Musica-Danza"
der Scuola Media Statale "Francesco Morosini" Venezia
Projektleitung Adriana Rossetto, Maria Filoso, Venezia
Maria D´Antonio, Mestre ( Schülermalereien zu "Arlecchino")
(18.Februar 2000, Aufführung im "Teatro Bissuola" Mestre/Italia)
 
9. Juli 2000
Gewandhaus
"KRACH BEI BACH" Gabriele Timm / Rainer Bohm
Musical anlässlich des 250. Todestages von Johann Sebastian Bach
     
Kinderchor der Oper Leipzig
Kinder-und Jugendchor der Steiggemeinde Stuttgart
Mitglieder der Singschule Leipzig Nord e.V.
ME und ML Anne-Kristin Mai
Orchester der Musikalischen Komödie und Gäste
Rainer Bohm, Sibylle Stier Klavier, Marcel Richter Schlagzeug
R Rüdiger Hoffmann
B Michael Münster, Konstanze Neumann-Gast, Hanne Reinhardt-Fischer,
Angelika Pohler, KINDERATELIER des KAOS e.V.
 
3. Oktober 2000
Steigkirche Stuttgart
"KRACH BEI BACH"
 
    ML Gabriele Timm-Bohm
Auszeichnung des Musicals und seiner Realisierung mit der
"Goldenen Bachtaste des Mitteldeutschen Rundfunks"
 
9. Juni 2002
Hauptbühne OPER LEIPZIG
"GALA DER KINDERCHÖRE"
anlässlich des "Leipziger Musikfestes für alle"
   
Schirmherr Intendant Henri Maier
Idee, Konzeption und Gesamtleitung Anne-Kristin Mai
Mitglieder des Orchesters der Musikalischen Komödie
Robert Korward Schlagzeug
Instrumentalisten der Musikschule "J.S.Bach"
Kinderchor der Oper Leipzig
 
  Gäste: Gewandhaus Kinderchor ( Frank-Steffen Elster)
Kinderchor des MDR (Gunter Berger)
Kinderchor der Semperoper Dresden (Andreas Heinze)
Kinderchor des Theaters Altenburg-Gera ( Klaus Schöppe)
Singschule Leipzig-Nord e.V. ( Heiko Dreßler, André Dreßler)
Klavierbegleitung: Sophie Bauer, Angelina Djutewa, Sybille Stier
Bühne Steffen Böttcher
 
     

Anhand dieses Spielplanes mit rund 300 Vorstellungen in Leipzig und anderswo ( allein "Dornröschen" 29 mal), kann man erahnen, dass von der Leiterin des autark arbeitenden Kindertheaters Ideenreichtum und Initiativen gefragt sind, um gute Libretti mit geschichtlichem oder erzieherischem Wert, sowie Musik, die ausschließlich auch in den Solopartien von Kindern und Jugendlichen bewältigt werden kann, zu entdecken.
Sie forscht im Archiv für Kindermusiktheater des Institutes für Deutsche Sprache, Arbeitsstelle Theaterpädagogik, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Prof. Dr. Gunter Reiß). Der Kinderchor wird Mitglied im "Arbeitskreis Musik in der Jugend" Wolfenbüttel. Es folgen Kontakte zum Kindertheater Wien. Doch geeignete Stücke sind nicht zu finden. So lockt die Wiedererweckung von Märchenspielen des ehemaligen Gewandhauskapellmeisters, Komponisten und Hochschullehrers Carl Reinecke, überrascht die Aufführung einer für den Kinderchor komponierten Buschiade von Horst-Dieter Knorrn und der Entschluss der Chorleiterin, eigene Entwürfe zu konzipieren. Deren Lehrauftrag für Gesang und auch Kinderstimmbildung an der Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn Barholdy" und ihre Erfahrung als Stimmbildnerin im Gewandhauskinderchor bringen viele Erkenntnisse über die Möglichkeiten junger Darsteller. Bald agieren die Mitglieder des Kinderchores der Oper Leipzig bei Lehrproben und im Staatsexamen von Gesangspädagogen.

Eine wichtige Verpflichtung außerhalb der Oper bleiben weiterhin die jährlichen Schülerkonzerte im Gewandhaus, deren Gestaltung schon die "Singschüler" übernommen hatten. An einem Vormittag kommen fast 1000 Kinder in zwei aufeinanderfolgende Darbietungen eines Singspiels oder einer Kinderoper und werden im Anschluss selbst musikalisch aktiv.
Die Tage der Offenen Tür im Opernhaus sowie zahlreiche Auftritte im Leipziger Umland und im Kammermusiksaal der Hochschule geben den jungen Sängerdarstellern Gelegenheit, mit einem großen, immer wieder wechselndem Publikum zu musizieren und neue Chorkinder zu finden.

Mit der Berufung zum KINDERCHOR DER OPER LEIPZIG 1990 erfolgen Einladungen in die alten Bundesländer. Chorleiter und Komponist Thomas Erler, in Leipzig geboren, bittet zum gemeinsamen Musizieren mit dem Kinderchor Baunatal in die dortige Stadthalle. Es beginnt der Austausch mit dem Kindertheater Saarbrücken ( Helga Frischkorn) und ermöglicht die Mitwirkung der Leipziger in einer Live-Chorgala des Saarländischen Rundfunks und im Konzert mit dem Kinderchor des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken (Hans-Joachim Hofmann). 1991 vermittelt Chordirektor Anton Tremmel eine Reise zum Kinderchor Dorfen/Bayern mit dessen Gegenbesuch. Die Leipziger spielen in Dorfen, Regensburg, Straubing und Roding. Der Dirigent und erfolgreiche Komponist Thomas Schubert, Nachfahre des Großvaters von Franz Schubert und Vorsitzender der Regensburger Franz-Schubert-Gesellschaft, möchte den prächtig agierenden Opernkindern ein Stück auf den Leib schreiben.1992 reisen fünfzig Sänger mit ihrer Mozartehrung in die Niederländisch-Wallonische Kirche nach Hanau auf Einladung des Mozartliebhabers Pfarrer Walter Schlosser.

Ab 1993 verzichtet die Chorleiterin auf sämtliche Termine als Gesangssolistin und auch auf eine angebotene Festanstellung an der Hochschule für Musik Leipzig, um mit ungeteilter Kraft für alle Proben und Auftritte des Kinderchores verfügbar zu sein. Stets genial und europäisch denkend erwägt Prof. Udo Zimmermann, das Kindertheater auszubauen und in die Musikalische Komödie zu verlegen, da sich das Kellertheater als zu klein erweist. Es folgen Einladungen zur Ausgestaltung des Europatages und der ersten Unicef-Veranstaltung mit Rita Süssmuth. 1992 und 1994 reist der Chor mit mehreren Inszenierungen nach Wolfenbüttel.

Anlässlich der Jüdischen Woche im Herbst 1994 empfangen die Kinder ehemalige Leipziger Bürger aus Israel im Kellertheater zur Aufführung der Kinderoper "Brundibar", die sie für die 1.Leipziger Kulturwochen und für die Gäste aus Jerusalem und Tel Aviv einstudiert hatten. Der Komponist Hans Krasa schrieb das Stück 1938 und konnte es 1942 in Prags Jüdischem Waisenhaus heimlich aufführen. Danach erklang "Brundibar" 55 mal im Konzentrationslager Theresienstadt, ab 1943 unter der Leitung des Komponisten. Fast alle damals mitwirkenden Kinder und Hans Krasa wurden ermordet. Der in Leipzig geborene Schriftsteller Hardy Fraenkel, aus Haifa eingeflogen, schenkt den Chorkindern sein 1930 erschienenes "Makkabi-Liederbuch" mit hebräischen, jiddischen und deutschen Gesängen. Mitglieder der großen Reisegruppe treffen sich zu Gesprächen und zum Musizieren mit dem Kinderchor in der Oper.

1995 gestaltet das Ensemble mehrere Benefizvorstellungen in der Paderhalle Paderborn und in Hamm zugunsten des Kinderdorfes Cienequilla in Peru (Wolfgang Hein). Im gleichen Jahr wird eine Einladung zum Böhmisch-Sächsischen Musikfestival in das Schloss Duchcov wahrgenommen.

Der Wunsch der Chorleiterin, eine Kinderoper aus der Feder des Intendanten und Komponisten Udo Zimmermann zu erhalten, kann leider nicht erfüllt werden. So reist sie zu Forschungen nach Venedig. Ihre Leidenschaft zur Stadt im Meer mit einmaliger historischer Kulisse und Operngeschichte führt sie zu venezianischen Märchen, Sagen, den Bräuchen des Carnevale und zu Schulkindern am Canal Grande. Die Figuren der Commedia del` Arte, der Doge, die Ratte, die Tauben, der Gondoliere, Orfarone der Wilde und die Sängerin vom Teatro Fenice verschmelzen zum wuselnden Maskenspiel "Arlecchino und die Taube" mit 60 Rollen. Der Italienische Konsul und Freund des Kinderchores Manlio Guiffrida und seine Gattin ermöglichen den Zugang zu Bibliotheken in Venedig und so findet die Chorleiterin Originalkompositionen zum Carnevale aus fünf Jahrhunderten. Nach einem Besuch bei der Präsidentin der Deutsch-Italienischen Kulturgesellschaft im Palazzo Albrizzi, Nevia Pizzul-Capello, der "Scuola Media Morosini " am Canal Grande und deren großartigen Lehrerinnen für die deutsche Sprache, Adriana Rossetto und Maria Filoso, wird das Projekt "Uhrturm Venezia-Lipsia" geboren. Die "Glockenmänner" auf dem Marcusplatz in Venedig und dem Leipziger Augustusplatz sowie der Löwe als Wappentier verbinden beide Städte. Lucia Lambertini kommt zweimal wöchentlich zum Kinderchor der Oper und lehrt Italienisch. Die Chorleiterin hat vor, das gesamte Libretto mit zahlreichen Dialogen und Chören zur Premiere in Venedig und Mestre in italiensicher Sprache vorzutragen zu lassen. Die treffliche Übersetzung fertigt Elena Ascheri-Dechering.
Zur Leipziger Premiere treffen fünfzig echte Venezianer ein und überraschen mit temperamentvollen Liedern, Späßen und Tänzen. Die Erstaufführung in italienischer Sprache wird vom Kinderchor perfekt gemeistert, vom venezianischen Publikum rundum verstanden und lautstark honoriert. Mit dem begleitenden und virtuosen Musizieren der Leipziger "Johann Sebastian Bach"- Musikschüler (Eva Beyer) , umrahmt von venezianischen Violinen, versinkt das Spektakel in Beifallsstürmen, der anschließenden Teilnahme des gesamten Ensembles am Karnevalsumzug durch die von Touristen überquellende Lagunenstadt, und einer Darbietung auf der Bühne des Marcusplatzes, was als höchste Auszeichnung für ausländische Gäste gilt. Zur unvergesslichen "Krönung" gerät das Singen auf dem Canal Grande in eigens dafür bereitgestellten historischen Booten, gesäumt von unzähligen Gondeln.

Wie gut, dass die Chorleiterin schon 1997 am Deutschen Institut in Venedig den Stuttgarter Stipendiaten Wolfram Enzlin kennengelernt hatte und ihn nach Kinderopern fragte. Er erzählte begeistert von Gabriele Timm-Bohm und Rainer Bohm aus Stuttgart, bei deren zahlreichen Singspielen er mitgewirkt hatte. Ein Anruf der Leipziger Chorleiterin bei der Librettistin und dem Komponisten mit der Bitte, dem Kinderchor der Oper Leipzig ein Stück für das Bachfest 2000 auf den Leib zu schreiben, zündet sofort.

Das Künstlerehepaar reist erstmalig zum Bacharchiv, verbeißt sich in die Geschichte der Thomaner mit ihrem berühmten Kantor, wundert sich über die theaterbesessenen Leipziger Opernkinder und schreibt das bezaubernde Musical "Krach bei Bach". Die jungen Sänger der Steiggemeinde Stuttgart, Hauschor der Bohms, werden nach Leipzig eingeladen und stürzen sich mit den Opernkindern in die Proben. Hinzu kommen Mitglieder der Singschule Leipzig Nord e.V. ( Heiko und André Dreßler). Diese Riesenschar von Kindern unterschiedlichster Prägung trifft sich bald zu Proben in der Jugendherberge Wunsiedel. Ost-und Westmentalitäten werden nicht immer ohne Schrammen gemixt, die jeweiligen Begabungen umso besser, und zur Premiere im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses in der Regie von Rüdiger Hoffmann belohnt der frenetische Beifall ein Traumensemble. Die Erfinder und alle Mitwirkenden des geistreichen Bachicels erhalten die "Goldene Bachtaste des Mitteldeutschen Rundfunks". Für das persönliche "Auftragswerk", die Honorierung ihrer Schöpfer, die Reisen der Chöre hin und her und für die Probenphase in Wunsiedel sind keinerlei finanzielle Mittel aus Leipzig vorhanden. Die Stuttgarter öffnen großzügig ihr Geldsäckel. Doch die gesamte Einstudierung und prächtige Ausstattung des mit höchsten Ansprüchen gespickten Stückes liegt in den liebevollen Händen der Leipziger. Erneute gemeinsame Aufführungen können leider nicht stattfinden. Die Opernkinder spielen "Krach bei Bach" weiter im Kellertheater, in der Westhalle des Leipziger Hauptbahnhofes und in der Bachkirche Arnstadt. Nach Erscheinen des Musicals im Carus-Verlag Stuttgart studieren es mehrere Ensembles in Nord- und Süddeutschland ein. Anlässlich des Ehemaligentreffens des Kinderchores der Oper Leipzig im Jahre 2007 schreiben Timm-Bohms: "Ihr wart unser Aha-Erlebnis. Als wir den Anruf bekamen, ein Musical über Bach zu schreiben, hatten wir zwar Erfahrung, aber noch nie einen derart professionell arbeitenden Kinderchor erlebt. Mein lieber Schwan, da gingen uns erst die Augen auf, zu welchen Leistungen Kinderstimmen fähig sind."

Im Juni 2002 hat sich die Verfasserin dieses Beitrages mit einer festlichen Gala des KINDERCHORES DER OPER LEIPZIG unter der Schirmherrschaft und Mitwirkung des Intendanten Henri Maier und im gemeinsamen Musizieren mit fünf geladenen Gastchören und zahlreichen Instrumentalisten von ihren jungen Künstlern verabschiedet.

Anne-Kristin Mai

·   erstellt von Claudio Brand   ·   www.ittks.com   ·   Datenschutzerklärung